John Woos "PAYCHECK"

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      John Woos "PAYCHECK" - Zurück in die Zukunft


      Hitchcocks "unsichtbarer Dritter" im Jahre 2007: Hongkong-Altmeister John Woo verfilmte mit "Paycheck" eine Kurzgeschichte des Science-Fiction-Autors Philip K. Dick - und inszenierte die Zukunft des Hollywood-Actionfilms mit klassischen Mitteln.

      Eine Pistolenkugel ist bei John Woo stets mehr als ein Geschoss. Wenn sie den Lauf verlassen hat, trifft auch der Film auf seinen Wendepunkt. In Großaufnahme und Zeitlupe vibriert sie in der Luft, und für zwei oder drei schicksalhafte Sekunden scheint das Leben still zu stehen. Es ist ein meditativer Moment, in dem die Ballistik den Helden zur Besinnung zwingt, sich seine Zukunft entscheidet und er im Angesichts der Kugel noch mal seine Erinnerungen streift.

      Noch nie passte dieses Bild besser als in "Paycheck", mit dem Woo eine Science-Fiction-Story von Philip K. Dick über die Manipulation des Gedächtnisses und Lebens verfilmt hat. Es ist die vierte Adaption einer seiner Geschichten von einem namhaften Regisseur. Ridley Scott begann 1980 mit "Blade Runner", 1991 folgte Paul Verhoevens "Total Recall", Steven Spielberg drehte 2002 "Minority Report". Wer Dicks futuristische Fabeln am adäquatesten umgesetzt hat, muss nicht diskutiert werden. Jeder hat in seinem Stil einen ganz eigenen und reizvollen Ansatz geschaffen. Gemeinsam ist ihnen jedoch eine zumindest unterschwellige Nähe zu den Suspense-Plots von Alfred Hitchcock. Im "Blade Runner" spiegelt sich etwas von "Vertigo", bei "Total Recall" gemahnt einiges an "39 Stufen", in "Minority Report" wird "Bei Anruf: Mord" zitiert. Und "Paycheck" verläuft ähnlich wie "Der unsichtbare Dritte".

      Hauptdarsteller Affleck: Keine Spur von Cary Grants Charme

      Ben Affleck spielt im Jahr 2007 den Programmierer Michael Jennings, und bereits am Anfang weisen seine Frisur, ein dunkelgrauer Anzug und selbst das quer gefaltete Stecktuch auf Cary Grant hin. Auch er wird zum ahnungslosen Gehetzten von Polizei und Killern. Drei Jahre hat Jennings für den High-Tech-Konzern Allcom seines alten Freundes Rethrick (Aaron Eckhart) an einem streng geheimen Projekt gearbeitet. Für einen Millionenbetrag willigte er sogar ein, nach Abschluss der Arbeiten alle Erinnerungen an seine Tätigkeit löschen zu lassen. Doch als er schließlich gedächtnislos aufwacht und seinen "Paycheck" abholen will, wird ihm nur ein Umschlag mit 19 Alltagsgegenständen übergeben. Ein Feuerzeug und Haarspray sind darunter, eine Münze, ein Schlüssel, Sicherheitsausweis, Uhr, Busfahrkarte, Lottoschein, Zigarette, Büroklammer und eine Patrone.

      Kurz darauf wird er vom FBI verhaftet, kann beim Verhör aber fliehen. Zwei Dinge aus dem Umschlag haben ihm dazu verholfen, und der scheinbar konfuse Kleinkram wird ihn auch im weiteren Verlauf des Films retten und damit den Weg zur Lösung weisen, als habe jemand jeden seiner Schritte und alle Situationen vorausgesehen. Mit anderen Worten: Er hätte dem FBI eigentlich nicht entkommen können. Da er aber mit den vorhandenen Hilfsmitteln richtig gehandelt hat, schafft er eine neue Konstellation, nimmt sein Leben eine andere Richtung mit einer weiteren Bedrohung. Allgemein betrachtet sind es Kleinigkeiten, bedeutungslose Entscheidungen in Sekundenschnelle, die bewirken, dass man immer wieder am Tod vorbeischrammt. Bis es einen dann doch erwischt.

      Wissenschaftlerin Rachel (Uma Thurman): Hitchcock wäre begeistert gewesen

      Bei Jennings ist der Zufall aufgehoben. Aber so lange er kombiniert, bis er den einzig möglichen, weil vorbestimmten Ausweg gefunden hat, scheinen die Gegner seine Flucht noch durchkreuzen zu können. John Woo erweist sich dabei erneut als einzigartiger Action-Arrangeur. Da Jennings kein Profi ist, hat Woo seine berühmten exzessiven, blutigen und wie Ballett choreographierten Schießereien diesmal ausgespart. Aber die Kamera ist noch immer ständig in Bewegung, der Schnitt suggestiv, jeder Stunt von ungebremster Physis.

      Höhepunkt des Films ist eine gut zehn Minuten dauernde Fahrt mit einem Motorrad, auf dem Affleck und seine Schicksalsgenossin, die Wissenschaftlerin Rachel (Uma Thurman) von Polizeiwagen verfolgt werden. Sie rasen im Gegenverkehr durch Röhren und ein Labyrinth aus Containern. Das ist klassisches Actionkino, es sind Szenen, die schon viele Male gedreht wurden. Doch Woo garniert jede Einstellung mit frappierenden Einfällen, die überraschend auftauchen und einen beständig den Atem anhalten lassen.

      Mit "Paycheck" hat Woo einen ebenso robusten wie raffinierten Action-Thriller gemacht, der schlicht packend unterhält. Und das kann man von den Hollywood-Produktionen der letzten zwei Jahre nicht behaupten. Wo bei "Reloaded" und "Revolutions" die Vision von "Matrix" schon wieder verpufft ist (und manche Sequenzen auch ein Update des Woo-Stils waren), gestaltet der alte Mann aus Hongkong die Zukunft des Actionfilms mit klassischen Mitteln.

      Die einzige Schwäche ist Ben Affleck, der mit jedem Film, in dem er auftaucht, glanzloser und mimisch lustloser wirkt. Den Charme von Cary Grant kann man bei ihm ohnehin nicht erwarten, das Charisma von Jason Statham wie in "The Transporter" hätte es aber sein dürfen. Und Uma Thurman wird in ihrer Nebenrolle leider schlicht unterfordert. Dabei bringt sie mit hintergründigem Blick und Lächeln auch diesen Film unnachahmlich zum Leuchten. Hitchcock wäre von dieser Blondine begeistert gewesen.

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      Paycheck - Die Abrechnung (Paycheck)

      USA 2003
      Regie:
      John Woo.
      Drehbuch: Dean Georgaris, Philip K. Dick (Story).
      Darsteller: Ben Affleck, Aaron Eckhart, Uma Thurman, Paul Giamatti, Joe Morton, Michael Hall, Colm Feore.
      Produktion: Paramount Pictures, DreamWorks SKG, Davis Entertainment Company, Lion Rock Productions, Solomon/Hackett Productions.
      Verleih: UIP.
      Länge: 119 Minuten.
      Start: 22. Januar 2004
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