Beobachtung aus der Paketbranche - Mindestlohndebatte - Tricks zur Umgehung

    • Naja, ob es da eine Mindestlohnumgehung gibt lass ich mal offen. Das dazu erforderliche Konstrukt wäre zumindest nach deutschem Recht sinnfrei.

      Was ich als gegeben ansehe: wenn die Transporter in Polen zugelassen sind, werden sie auch in Polen versteuert und versichert. Mal überlegen.. die KFZ-Steuer in Polen beträgt so ungefähr nichts bis gar nichts. Wie hoch eine polnische KFZ-Versicherung ist, weiss ich nicht. Dürfte aber deutlich unter dem deutschen Satz liegen.

      Interessant wird da dann die Frage, wo diese Autos geparkt werden.



      Fahrzeugzulassungsverordnung §20 Abs. 1 schrieb:

      In einem anderen Mitgliedstaat der Europäischen Union oder einem anderen Vertragsstaat des Abkommens über den Europäischen Wirtschaftsraum zugelassene Fahrzeuge dürfen vorübergehend am Verkehr im Inland teilnehmen, wenn für sie von einer zuständigen Stelle des anderen Mitgliedstaates oder des anderen Vertragsstaates eine gültige Zulassungsbescheinigung ausgestellt und im Inland kein regelmäßiger Standort begründet ist.


      (Hehehe... lustiger Zitattitel...)

      Nach einem Jahr müssen die nämlich zurück nach Polen. (§20 Abs. 5 FZV) Ok, von Berlin aus ist das kein Problem. Da fährt man sowieso zum Tanken dorthin. Bei der Rückfahrt hat man dann einen erneuten Grenzübertritt und die Frist beginnt erneut.

      Diesel kostet in Polen derzeit etwa 1,13 Euro pro Liter, macht also rund 15 Euro Ersparnis bei 100 Litern. Auf dem Zusatzteile-Markt gibt es für solche Fahrzeuge Tanks mit Füllmengen zwischen 160-170 (Fiat/Iveco) und 265 (Mercedes Sprinter lang) Litern. Dazu noch der erlaubte 20-Liter-Kanister und die Zigaretten (4 Stangen) für den Fahrer oder sonst wen, dann rechnen sich die ca 200 Kilometer Fahrt. Den frühesten Zeitpunkt des Grenzübertritts belegt man dann mit der polnischen Tankquittung.

      Und wenn man dem Angestellten "erlaubt", bei der Fahrt auch noch den eigenen Wocheneinkauf zu erledigen oder ein bisschen Gefälligkeitstransport zu erledigen macht der das sicher gerne in seiner Freizeit. Geht natürlich ein bisschen in Richtung Ameisenverkehr, aber solange man das nicht übertreibt hat der Staat da kaum eine Handhabe.

      Den Mindestlohn erreicht man dann ganz einfach mit Stücklohn und Arbeitsvorgabe. Man setzt 20 Pakete pro Stunde zur Auslieferung an, also drei Minuten pro Zustellung. Dann bekommt der Zusteller 42,5 Cent pro Sendung, was sich ungefähr mit dem deckt, was mein Hermes-Zusteller tatsächlich auch bekommt - naja, eigentlich bekommt er 40 Cent (Insider-Info). Das Ganze dann natürlich mit polnischen Lohnnebenkosten, nicht mit deutschen. Das sind dann für den Arbeitgeber (nur um den geht es, denn der muss die Kosten kalkulieren):

      9,76% Rentenversicherung
      4,5% Invalidenversicherung
      1,67% Unfallversicherung bei Unternehmen bis 7 AN, sonst gerechnet an der konkreten Unfallhäufigkeit
      2,45% Arbeitsfonds
      0,1% Fonds garantierter Arbeitnehmerleistungen

      Sind also auf den Mindestlohn nochmal 18,48% Lohnnebenkosten für den AG. Wobei die Unfallversicherung des AN hier in DE über den Beitrag des Unternehmers zur BG anfällt. Wir in DE haben die also auch, nur eben nicht auf dem Lohnzettel des AN. Gemäß Übersicht des Buddhistischen Standesamts.. ääähhh... Statistischen Bundesamts liegen die Lohnnebenkosten in DE aber so schon bei etwa 28%. Falls jetzt jemandem auffällt, dass der polnische AG keinen Anteil an den KV-Beiträgen hat: stimmt. Die trägt in Polen der AN alleine.


      Das Konstrukt polnischer Transporter mit polnischem Fahrer von polnischem Subunternehmer rechnet sich also auch noch, wenn auf dem Papier der Mindestlohn gezahlt wird. Vielleicht nicht ganz so deutlich wie früher, aber bei direkt vergleichbarer Bezahlung des Fahrers ist es immer noch um einiges biliger. Da rentiert es sich für den "grenznahen" Hermes-Distributor schon, in Polen einen Betrieb zu gründen.
      Wenn Dir ein ebay-Mitarbeiter die Hand gibt und "Guten Tag" sagt, sind folgende drei
      Wahrheiten als self-evident zu erachten und als sicher gegeben anzusehen:

      1.) Zähle nicht nur deine Finger nach, sondern auch deine Hände. So Du welche hast auch die Füße.
      2.) Draussen ist es mitten in der Nacht und dunkel wie im Bärenarsch.
      3.) Der einzige Lichtschein dringt aus den Pforten der Hölle, die sich geöffnet haben weil die Welt untergeht.
    • Ich denke nicht, dass die Zusteller es schaffen, den Mindestlohn zu umgehen; der gilt, selbst für osteuropäische Erntehelfer. Hier hat dann halt der Bauer die Barackenmiete zum Ausgleich entsprechend erhöht.

      - Es ei denn, man setzt auf polnische Subunternehmer, deren "freie" Fahrer wiederum die Fahrzeuge finanzieren müssen, nach Paket bezahlt werden und und effektiv für 1,50€ die Stunde arbeiten. Über sowas hab ich schon einen Bericht gesehen...

      Dieser Beitrag wurde bereits 1 mal editiert, zuletzt von Saeschau ()

    • Ich verstehe - ehrlich gesagt - die Diskussion nicht.

      Es ist bekannt, dass es sich dabei um einen schlecht bezahlten Knochenjob handelt. In dem Bereich ist die Fluktuation ausgesprochen hoch.

      Es gibt in all diesen Bereichen eine hohe Anzahl an Tagespendlern aus Polen.

      Auch mancher deutsche Sub hat im Fernverkehr schon wegen der Führerscheine und nicht vorhandener Geschwindigkeitsbeschränkungen seine Fahrzeugflotten um Kleintransporter erweitert. Warum sollten die Polen das anders handhaben? Großkunden werden übrigens vom Spediteur direkt angefahren.

      Ich habe das Gefühl, dass hier Beobachtungen in einen Topf geworfen und Zusammenhänge hergestellt werden, die eigentlich nichts miteinander zu tun haben.
    • ...nun will ich auch mal was dazu beitragen,

      ich beherberge in meinem Laden (welcher Art auch immer! ^^) AUCH´nen Hermes-Shop - in ´nem kleinen Ort (Heilbad) im südbayrischen Raum, nahe des österreichischen Grenzgebiets, südöstlich von München.
      Jetzt will ich Euch mal über diverse Erkenntnisse berichten, welche ich (im Lauf der Jahre) erfahrenen "durfte":
      -die Fahrer, welche die Shops (täglich) ver/entsorgen - sind zu 80% noch "Fest"-Angestellte von HLG (HermesLogisticGroup), wird jedoch grade "umgestellt", auch hier werden künftig nur noch "Sub"-ler zum Zug kommen werden...
      -hier im oberbayrischen Raum werden zunehmend Rumänen eingesetzt, der Fahrer, der in meiner Ortschaft die Packerl verteilt, is zwar ´n unheimlich netter Typ - aber spricht nicht EIN WORT deutsch (nur englisch!!) ...sein "Chef" ("Tourenvergeber") ist ein Bürger aus dem Neu-Fünf-Land, hat z.B. 8 (acht!) Touren "laufen"...und keiner der Fahrer ist der landestypischen Sprache (Wort und Schrift!) mächtig...
      ..zudem kommt, daß der Sub-Unternehmer (welcher die Touren vergibt) mit drakonischen Strafen für nicht gelieferte Sendungen reagiert...
      ..auch weiß ich von Fahrern (Migranten!), welche sich für Arbeitskleidung "interessierten" - völlig über den Tisch gezogen wurden...zum Preis des firmeninternen Arbeitskleidungs-Katalogs wurden teilweise "Aufschläge" verlangt....

      ...etc. - könnte da noch mehr berichten....aber....
      BACK TO TOPIC:

      Die Quintessenz meines Beitrags lautet:
      Der Mindestlohn wird IN DEM MOMENT "umgangen", wenn man den Mann/die Frau "selbständig" macht...auch wenn es nahe der Grenze zur ScheinSelbständigkeit liegt....imho...1 Auftraggeber, DAS wars??


      €dit:
      ...wusstet Ihr, dass HLG ein Unternehmen der OTTO-Gruppe war/ist?!
      Quis custodiet ipsos custodes?

      Dieser Beitrag wurde bereits 4 mal editiert, zuletzt von Frank N. Stein () aus folgendem Grund: Schreibfehler! ^^