Mirabella Neumann schrieb:
Das Schwierigste, so kenne ich es von meinen Großtanten, sie möchten nicht aus ihrer Wohnung. Und die Angehörigen? Sie haben Angst, dass sie nicht gefunden werden, wenn sie fallen, dass die Bude abbrennt etc. Aber, wie soll man das denn verhindern, wenn man nicht wirklich meint, dass dieser lebenserfahrene Mensch entmündigt gehört?
Genau so habe ich es bei SchwieMu erfahren. Sie wollte nicht raus aus ihrem Haus. Und wir meinen, dass das für lange Zeit das beste für sie war. Dort kannte sie sich aus. Dort hatte sie noch Bekannte und Freundinnen. Auch die Leute in den Geschäften kannten sie (Ok, ein Ladeninhaber nahm sie schamlos aus, da mussten wir irgendwann einschreiten).
Wie sich behelfen (alle ihre Kinder und Enkelkinder lebten und arbeiteten mindestens 100 Kilometer entfernt)?
Nun, das Glück: Es handelte sich um eine Umgebung, wo sich Nachbarn noch umeinander kümmern, ehrlich kümmern.
Wir "überredeten" SchwieMu dazu, dass die Nachbarin einen Schlüssel für das Haus bekam. Eigentlich war das schon "Zwang", weil SchwieMu schon große Ängste vor "Fremden" entwickelte und immer mehr Leute zu Fremden wurden. Aber es ging so einigermaßen, man kannte sich ja jahrzehntelang. Als SchwieMu mal das Haus verließ und die Tür hinter ihr zuschlug, da wußte sie nicht mehr, dass bei der Nachbarin ein Schlüssel ist. Aber die Nachbarin wusste es. Und konnte helfen. Da war SchwieMu dann sehr froh. Hat aber auch nicht lange vorgehalten, weil sie ja den ganzen Vorfall dann wieder vergaß
Zuerst besorgten wir ihr eine Telefonanlage, damit sie "überall" im Haus Zugriff hat, wenn es notwendig wäre. Ein wenig trainieren mussten wir, damit sie lernt, dass die Geräte zum gelegentlich Laden in die Basisstation müssen. Irgendwann klappte das auch nicht mehr.
Danach gaben wir ihr ein Seniorentelefon, so eines mit großen Tasten. Noch wichtiger: 5 Tasten mit den eingespeicherten Telefonnummern der wichtigsten Leute. Das ging dann auch noch mal ein Jahr gut, nachdem es mit der Telefonanlage technisch nicht mehr klappte. Allerdings musste man täglich anrufen und das Gespräch damit beenden ihr zu sagen: "Und nach dem Auflegen tust Du bitte sofort das Kabel rein".
Wohnung abbrennen: SchwieMu ist Kerzenfan. Das konnte sie auch lange bleiben. Wir tauschten die Kerzen nur aus. Sie bekam eine schöne große Schale mit Schwimmkerzen. Das fand sie ganz toll und modern. "Tricks" halt.
Später zündete sie die Kerzen eh nicht mehr an, Streichhölzer gab es im Haus nicht mehr (die brennen eventuell nach) und das Feuerzeug konnte sie "irgendwann" nicht mehr bedienen. Wollte sie dann auch gar nicht mehr.
Der Herd? Der ging irgendwann kaputt...Ist man als Verwandter dann verpflichtet den zu reparieren?, Nööö Und das war auch kein Problem mehr, Der Herd war eh nur noch eine potentielle Gefahr, wenn sie wieder auf die Idee käme ein geschlossenes Glas Marmelade darin heiß zu machen oder ähnliches.
Für ihre tägliche Versorgung hatten wir längst einen ambulanten Dienst engagiert, der täglich das Mittags-Essen brachte und warm machte (und so oft es ging ihr auch beim Essen Gesellschaft leistete). Zu diesem Zweck hatten wir eine Mikrowelle besorgt. An das neumodische Gerät ist die Frau niemals nicht ran gegangen. Wieder "Trick", ja. Abgesehen davon, dass die Pflegerin nach Benutzung sowieso immer den Stecker gezogen hat Aber es hat SchwieMu nicht weh getan.
Bei solchen Eingriffen muss man schon sehr aufpassen, dass man den dementen Menschen dadurch nicht noch zusätzlich verwirrt. Zum Glück machte sich SchwieMu über solche technischen Dinge mit der Zeit immer weniger Gedanken.
SchwieMu akzeptierte es, wenn die Pflegerin kam. Anfänglich war es ja nur das Mittagessen. Und das mochte sie.
Das machte es ein wenig leichter, als es später "härter" wurde. Dass die Pflegerin auch die Medikamente zurecht machte...ging ja noch.
Aber da kam sie auch morgens. Nicht mehr unbedingt passend zu SchwieMus mittlerweile geändertem Tagesrhythmus.
Weil es auch nicht mehr reichte, dass die Brötchen ins Haus kamen, vor die Tür. SchwieMu wusste damit alleine nichts mehr anzufangen und machte sich kein Frühstück mehr.
Öfters hörte SchwieMu die Haustürklingel nicht mehr (Hören ist wohl falsch, sie nahm sie nicht mehr wahr). Dann stand die Pflegerin also plötzlich in ihrem Wohnzimmer. Das war sehr hart für SchwieMu. Wer möchte das schon gerne, wenn plötzlich andere Leute "von alleine" im eigenen Reich auftauchen?
Trotzdem war es von Vorteil, dass sie die Pflegerinnen schon kannte und der Pflegedienst sich auch sehr bemüht hat, darauf zu achten, dass es nicht zu viel Personalwechsel gibt (Kleinstädtchen halt, Vorteil).
Wir bekamen aber schon oft zu hören: "Die Frau da, die muss nicht ständig kommen, die brauch ich nicht. Was will die eigentlich hier?". Nicht leicht ihr zu erklären, dass das die einzige Alternative ist, wenn sie im Haus bleiben will. "Der Doktor hat es verschrieben" war manchmal auch eine gute Erklärung. "Der Doktor" ist eine Autorität.
Manchmal sah sie es (kurzfristig) ein, manchmal war es kein Problem, manchmal gab sie einfach auf, manchmal mussten wir sie einfach schimpfen lassen. Je nach Tagesform. Ihre Tagesform und auch unsere.
Das Bügeleisen: SchwieMu bügelte lange noch sehr gerne (und sehr gut und geschickt). Da sie aber das Waschen nicht mehr mochte (und es auch ganz unmöglich wurde, nachdem die zig Jahre alte Maschine endgültig verreckt war und auch die extra einfache "Neue" ihr nicht mehr eingängig wurde)..."verschwand" auch das Bügeleisen, auf Kinders Befehl.
Es tauchte aber immer wieder mal auf, wenn jemand da war und es Bügelwäsche gab. Dann konnte sie sich mal wieder richtig austoben. Das hat zu jeder Zeit so gepasst, denke ich. Sie suchte zumindest nie verzweifelt nach dem Bügeleisen.
Nun, manche Sachen brachten wir in manche Ecken ihres Hauses in "unsere" Geheimverstecke.
SchwieMu war auch so genug damit beschäftigt die Sachen ständig zu suchen, die sie selbst "verlegte". Auch nicht einfach, wenn man 150 km weit weg ist und sie dann anruft um mich zu fragen ob ich wüsste, wo ihre Geldbörse nun wieder sein könnte. Ach ja, manchmal hat es sogar geklappt mit "Schau mal da...Nicht? dann guck mal dort".
Manchmal konnte man sich auch behelfen indem man ihr den Ort eines "Ersatzverstecks" benannte, wo extra für solche Zwecke ein wenig Geld deponiert war Wieder so ein Trick.
Der nächste Schritt war dann die Körperpflege. Alleine ging da irgendwann nicht mehr viel. Zuerst duldete sie, dass ihre Töchter ihr beim Duschen "helfen" . Andere durften das nicht. ICh zumindest nicht. Nur die kleinste Andeutung von mir und sie ist hochgegangen.
Ist das "unnormal"? Ich denke nicht, es war meiner Meinung nach sogar ein sehr gesunder verbliebener Rest von Scham und Persönlichkeitsgefühl. Und sie konnte zu dieser ZEit noch sehr gut die einzelnen Menschen ihrer Umgebung unterscheiden, auch wenn sie oft unsere einzelnen Namen nicht mehr nennen konnte.
Aber ihr könnt Euch vorstellen, wie schwer es war, dass sie sich von den Pflegekräften helfen lies. Das ging nicht mehr wirklich mit ihren Willen. Aber mit Geduld, allerdings auch mit Konsequenz. Etwas, was gelernten Pflegekräften wohl leichter fällt mit dem professionellen Abstand.
Oft begriff SchwieMu noch, was die Alternative bedeuten würde. Und so duldete sie meist. Das war auch wichtig. Weil das Duschen der Pflegerin die zusätzlich "unauffällige" Möglichkeiten gab, auch zu inspizieren ob es Wunden gibt, die behandelt werden müssen. Von Stößen oder Entzündungen oder so. SchwieMu redete darüber nämlich nicht. Wieder ein "Trick". Manchmal hat SchwieMu das Duschen gefallen, manchmal hat sie sich auch gewehrt. Ganz schlimm das mit zu bekommen. Aber es hilft ja nichts. Einmal, zweimal kann man sie ja in Ruhe lassen, wenn sie denn absolut nicht will (was auch die Pflegerin an ganz schlechten Tagen machte). Aber eben nicht dauernd.
Alles was ich jetzt geschrieben habe, zeigt, dass SchwieMu zu dieser Zeit nicht mehr nur "ein wenig" dement war. Das war schon ziemlich fortgeschritten. Und auch da sind schon Zeitabläufe in der Schilderung.
Aber alle gemeinsam: Kinder, Pflegedienst und Arzt haben bis zu diesem Zeitpunkt einheitlich noch gesagt: Noch geht es. Und sie wollte ums Verrecken noch nicht raus aus ihrem Haus. Lange ging es dann aber echt nicht mehr weiter so, nicht mehr als dann auch noch häufiger Angstattacken dazu kamen.
Meint Ihr, das wäre schon "zu lange" gewesen? Wir glauben nicht, wissen aber auch nicht, ob ein paar Monate kürzer besser gewesen wäre. Das kann man im Nachhinein schwer entscheiden. Und auf jeden Fall kann man es nicht "nochmal anders" ausprobieren. Es bleibt zu jedem Zeitpunkt eine Gewissensentscheidung.
Meistens ist die Dame nämlich auch zu dieser Zeit noch recht glücklich in ihrem Haus gewesen und hat in ihrem Krimskrams, ihrem Garten und ihren hunderten Sammelalben rumgegruscht. Sie hat Besuche empfangen, sich unterhalten (irgendwie), ein wenig TV geschaut. Sich von Bekannten und Verwandten mit Vergnügen zum Essen oder zu Ausflügen ausführen lassen. Je nach Tagesform halt und viele Tage waren gut.
Alles nur "persönlich", ist bestimmt bei jedem anders.
Übrigens: Schon vor Jahren, als sie selber merkte, das "was passiert" mit ihr und sich was ändert, da hat sie mir erlaubt über sie zu schreiben. Sie wollte es sogar. Ich musste ihr versprechen, dass ich ihre Lebensgeschichte eines Tages aufschreibe und veröffentliche. Das war ihr sehr wichtig. Sie machte für mich sogar Notizen, Dokumente und wir machten Kassettenaufnahmen. Denkt also nicht, dass ich zu "indiskret" bin. Es entspricht ihrem Willen aus einer Zeit wo sie ihn noch formulieren konnte. Auch eine recht typische Phase der Demenzerkrankung. Eine, wo der Mensch zwar schon teilweise beeinträchtigt ist, aber noch lange nicht "unmündig" werden muss oder gar sich seiner selbst grundsätzlich nicht mehr bewusst wäre.